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Predigt zum 3. Fastensonntag B 2021

Einigkeit und Recht und Freiheit

Texte der Hl. Schrift: Ex 20,1–17 * Joh 2,13–25

Ich will die Frage, die ich am Beginn des Gottesdienstes gestellt habe, noch einmal aufgreifen: Wie fühlen Sie sich in dieser Zeit? Eingeengt oder bedrängt? Oder fühlen Sie sich vielleicht doch frei, mit freiem Atem?

Viele Menschen fühlen sich zur Zeit beengt und eingeschränkt in ihrer Freiheit. Eine Schutzmaske tragen, das ist lästig. Man kann nicht frei atmen, die Brille beschlägt, und man kann dem anderen nicht mehr ins Gesicht schauen. Manchmal muss ich drei oder vier Mal hinschauen, und erst wenn der andere einen Satz spricht, weiß ich endlich, wer da vor mir steht. – Das ist lästig! Das ist ärgerlich! – Muss das wirklich sein?

Fast drei Monate konnte ich nicht mehr zum Friseur gehen. Wie sehe ich bloß aus? – Das ist lästig und ärgerlich!

Seit Monaten war ich nicht mehr zum Essen aus, konnte in kein Kino gehen, auch nicht ins Theater. – Wie lange soll das noch dauern?!

Ich könnte die Liste fortsetzen. Und was vielleicht am schlimmsten war und ist in dieser Zeit: Im Krankenhaus und in Altenheimen warten Menschen auf meinen Besuch, und ich werde nicht zugelassen. – Ist das menschenwürdig?

Ja, unsere Freiheit ist schwer eingeschränkt. Manche lehnen sich dagegen auf. Sie sehen es nicht ein, dass diese Beschränkungen sinnvoll und nötig sind. Manche nennen sich deshalb „Querdenker“ und meinen, sie seien die wahrhaft Freien und stritten für die Menschenrechte.
Ich sage es frei heraus: Ich bin nicht dieser Meinung. Auch ich fühle mich eingeschränkt. Auch ich leide unter den Behinderungen, die ich aufgeführt habe. Und dennoch: Es gibt eine Freiheit, die größer und weiter ist. Es gibt eine Freiheit, die trotz aller Einschränkungen frei atmen und aufrecht gehen lässt. Wenn sie nämlich einem höheren Gut dient; wenn sie dem Leben dient.

Ja, man kann darüber streiten, ob alle Vorschriften und alle Einschränkungen nötig sind. Man kann und darf kritisieren, ob alle Entscheidungen der Politiker zielführend sind.

Dennoch bin ich der Meinung: Wir sollten allen, die in diesen Tagen schwere Entscheidungen treffen müssen, zugute halten, dass sie das Beste wollen. Wir sollten froh sein, wie ernst Politiker, Ärzte, Virologen und andere ihre Verantwortung nehmen, um Leben zu schützen – mit dem Ziel, dass wir möglichst bald wieder mehr Freiheit genießen können.

Wollen wir es ihnen absprechen, selbst wenn Fehler gemacht wurden und wahrscheinlich immer noch gemacht werden?

Vielleicht ist genau das momentan am meisten nötig: Dass wir einander guten Willen zutrauen, selbst wenn wir streiten; dass wir geduldig bleiben, selbst wenn wir unter den Einschränkungen und auch unter Fehlern leiden. Dass wir bei allem das langfristige Ziel nicht aus dem Blick verlieren: Es geht um das Gut des Lebens. Es geht um Gesundheit und Wohlergehen vieler. Vielleicht müssen alle – und besonders die, denen es auch finanziell besser geht – bereit sein zu überlegen: Wie können wir denen helfen, die durch die Epidemie besonders in die Krise geraten sind? Wie können wir solidarisch sein?

Nein, ich weiß auch nicht die Lösung in der momentanen Krise. Aber ich bin dankbar, dass es in unserem Land viele vernünftige und verantwortungsvolle Menschen gibt, die um die beste Lösung ringen. Diese sollten wir unterstützen. Und wenn wir streiten, dann sollten wir fair bleiben.

Der Ordensgründer der Jesuiten, Ignatius von Loyola, hat den Mitbrüdern, die er zum Konzil nach Trient sandte, den Rat mitgegeben: Bei allen Diskussionen und unterschiedlichen Ansichten versucht die Meinung des anderen zu „bewahren“. Er meinte damit: Halte dem anderen zugute, dass er das Gute will. Finde zumindest das Körnchen Wahrheit auch bei denen, die vielleicht auch nicht Recht haben!

Liebe Schwestern und Brüder!

Könnten die 10 Gebote aus der heutigen Lesung eine Hilfe sein bei unserer Suche nach dem rechten Handeln? – Den Einleitungssatz sollten wir jedenfalls nicht überlesen: „Ich bin JHWH, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ (Ex 202)

Alle 10 Gebote, die darauf folgen, klingen ja in unseren Ohren auch als Ein-schränkungen. „Du sollst nicht...!“ Aber sie dienen der Freiheit, der Freiheit und dem Wohlergehen aller. Wer nur die eigene Freiheit im Blick hat, der ist nicht wirklich frei. Er ist der Sklave seiner eigenen Begierlichkeiten. Er ist wahr-scheinlich auch der Sklave seiner eigenen Ängste; der Ängste, die er sich nicht eingestehen kann oder will, letztlich der Angst zu kurz zu kommen.

Vielleicht sollten wir alle darüber nachdenken, ob es nicht doch Ängste in uns gibt, die unseren Blick trüben; die uns ungeduldig und unduldsam machen.

Vielleicht sollten wir uns von Gott sagen lassen: Du brauchst keine Angst um dein Leben zu haben, denn ich habe Dir alles gegeben, was Du brauchst. Und ich schenke Dir alles, was Dir zum Leben nötig ist – und darüber hinaus.

Jesus war dieser freie Mensch. Darum hat er alles aus dem Tempel ausgetrieben, was nur Krempel war, was den Blick auf Gott und das wahre Leben verstellt hat. Jesus war so frei, dass er seine eigene Freiheit auf’s Spiel gesetzt hat. Es hat ihn das Leben gekostet, dass er so konsequent handelte. Aber er hat nie das Leben anderer gefährdet. Er hat nie zurückgeschlagen. Denn er war sich sicher: Alles, was ich brauche, schenkt Gott mir, selbst wenn ich als Verlierer dastehe, selbst wenn mir das Leben geraubt wird.

Das ist wahre Freiheit, die Freiheit des Christenmenschen. Amen.

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